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5. März – Die Geschichte vom langen Bart

Ein Gelehrter, der wegen seines großen Wissens und seines langen, gepflegten weißen Bartes überall bekannt war, schlenderte eines Abends gedankenverloren durch die Gassen von Bagdad. Viele Leute begegnetem ihm und grüßten ihn ehrerbietig. Doch einige übermütige Jungen, die sich am Brunnen versammelt hatten, stellten sich dem Gelehrten in den Weg. Der Mutigste sprach ihn an: „Ehrwürdiger Meister, wir haben eine Wette abgeschlossen, wie Du nachts mit Deinem langen Bart schläfst. Sag uns doch, ob Dein Bart nachts, während Du schläfst, auf der Bettdecke liegt oder darunter?“

Der Gelehrte, aus seinen Gedanken aufgeschreckt, konnte die Frage nicht beantworten, sondern erwiderte den Jungen ganz ernsthaft: „Ich habe mir bisher darüber noch keine Gedanken gemacht, aber ich werde es herausfinden und werde euch morgen abend hier Bescheid geben.“

Doch als der Gelehrte zu Hause im Bett lag, konnte er nicht einschlafen. Er war sich nicht mehr sicher, wo denn nun sein Bart bisher gelegen hatte. War er wie heute unter der Decke, oder lag er sonst doch eher auf ihr?

Unruhig wälzte der Gelehrte sich hin und her, um schließlich den Bart auf die Decke zu legen. Doch auch das brachte ihm nicht die ersehnte Ruhe und noch weniger den erquickenden Schlaf. So wechselte er ständig die Position seines Bartes, legte ihn einmal auf, dann wieder unter die Decke, ohne sicher zu sein, welches die richtige Lage gewesen war. So verbrachte er schlaflos die ganze Nacht.

Am nächsten Abend ging er dennoch zu den Jungen am Brunnen und sprach zu ihnen: „Ihr lieben Jungen, bisher hat mich die Frage nach der nächtlichen Lage meines Bartes nicht beschäftigt und ich schlief tief und fest und erwachte morgens ausgeruht und erquickt. Doch seit ihr mir die Frage nach der Lage meines Bartes gestellt habt, die ich nicht beantworten kann, finde ich keinen Schlaf, und mein Bart fühlt sich an, als gehöre er nicht zu mir, ja als führe er sogar ein Eigenleben. Ich weiß nicht, ob ich meinen Bart, den ich immer für ein Zeichen meiner Weisheit und als Zierde meines Alters angesehen habe, nicht lieber abnehmen soll oder ob ich je wieder mit ihm vertraut sein werde.“